Saturday, 3. November 2007

Doppelbelichtungen: What Is And What Should Probably Not Be

[Doppelbelichtungen ist eine neue Reihe von Essays über Musik und Literatur, die sowohl die portraitierten Künstler als auch den Portraitisten und seine Subjektivität darstellen sollen. Sie sind bewußt in einer autobiographischen Form verfaßt, wiewohl sie auch für den nicht am Persönlichen interessierten Leser einen Reiz haben sollten.]


Eine Variation auf Coleridges Konzept der "wilful suspension of disbelief" - nämlich die, das Kunstwerk als Kunstwerk zu akzeptieren, und aus seinen eigenen Parametern einen kritischen Standard zu entwickeln - ist in der Praxis weniger elegant umzusetzen als es der Gerechtigkeit halber sein sollte. Aber es gibt eine Gerechtigkeit auch gegenüber dem Kritiker, und wenn man sich vor unruhiger Peinlichkeit gar nicht erst durch ein Oeuvre zu hören schafft, muß das auch Gründe haben: sie zu erforschen ist vielleicht der beste Weg, mit seinen Reaktionen zu Rande zu kommen.

Die erste Frage, die es zu klären gilt, scheint einfach genug: sind acquired tastes auf irgendeine Art den "echten" gut-reactions unterlegen? Die angelernten Geschmäcker, die bei Käsesorten ebenso zutreffen können wie bei Zwölftonmusik, sind in meinen Augen nur Synonyme für das Verstehen einer Eigenart und dementsprechend viel eher als die von vornherein positive Reaktion das Ergebnis eines Prozesses der Auseinandersetzung. Tatsächlich habe ich den Verdacht, daß man, was man intuitiv gut findet seltener hinterfragt. Man muß natürlich nicht, aber es könnte einem doch noch unvermutete Aspekte erschließen. Ein klares Nein also.
Auf der anderen Seite scheint es mir völlig ausgeschlossen, eine negative gut-reaction, das vielzitierte Bauchgefühl, zu überlisten. Sobald man eine Antipathie zu einem Stück Musik, einem Geschmack gefaßt hat, wird man sich das Stück Musik, um bei unserem Feld zu bleiben, kaum gutreden können. Das fahle bleibt unweigerlich ein Teil der Wahrnehmung.

Wozu überhaupt die ganze Aufregung? Wenn man etwas nicht mag - dann läßt man es bleiben. So einfach wär's, wäre da nicht gleichzeitig ein unscharfer Reiz, eine Faszination - die vielleicht zum Teil vom Renommee der Musik herrührt - die ein simples Abtun als allgemeinen Irrtum verhindert. Neben Gustav Mahler gibt es für mich nur eine weitere musikalische Erscheinung, die ein derartiges Hin- und Hergerissensein auslöst: Led Zeppelin.


Über lange Jahre hinweg stand es für mich - in jugendlichem Ungestüm - außer Frage, daß die Band unmöglich war, eine pompöse, pathetische, misogyne, selbstherrliche, abstoßende, ironielose Formation, die mehr mit 70er-Stadionrock-Phänomenen zu tun hatte, als mit seriöser, glaubwürdiger Musik. Und doch kamen immer wieder kleine Impulse auf, ich will sie noch nicht Zweifel nennen, die vor allem von Menschen herrührten, deren musikalische Meinung ich für allgemein glaubwürdig hielt, und die etwas in der Band zu hören schienen, das mir verborgen blieb. Die Gravitation in Richtung der Alben III und IV, mit ihren wahnwitzigen Fantasy-Szenarios à la "The Battle Of Evermore", Blaupause für allerlei pompöses, pathetisches, und vor allem grenzenlos peinliches in der Progrockschiene (Genesis' "Dancing with the Moonlit Knight", Yes, die frühen Queen, Jethro Tull...), scheint mir aus heutiger Sicht ein wesentlicher Grund für mein Unverständnis zu sein.
Zugegebenermaßen sind diese nur ein Aspekt der Alben, doch die pubertäre Lyrik ihres Pseudomittelalters und der keltischen Mythen aus zerlesenen Tolkien-Ausgaben ist mir nach wie vor unerträglich. Vor allem die unbeschreibliche qualitative Disparität zu authentischen mittelalterlichen Texten und deren Glaubwürdigkeit (Chrétien de Troyes, Wolfram von Eschenbach, Geoffrey Chaucer, sogar Hartmann von Aue) ist wie ein Hohn. Freilich - die Vorlage für Fantasy-Lyrics ist die Fantasyliteratur des 20. Jahrhunderts und nicht die authentischen Quellen, obwohl diese Quellen für Tolkien etwa von großer Bedeutung waren. Man argumentiert allerdings auch nicht mit Robert Browning gegen Paul Simon.

Symptomatisch für diesen Zugang ist natürlich auch die lächerlich-obskure Symbolik eines Textes wie "Stairway To Heaven". Von undurchsichtigen Passagen ("your stairway lies on the whispering wind"), hin zu banalen Klischees ("in a tree by a brook there's a songbird who sings..."). Und dennoch, wenn nach dem anachronistisch-kammermusikalischen Anfang gegen 2:20 die satten Gitarren einsetzen, ist es kaum möglich sich eines wohligen Gefühls zu erwehren. Der Sound selbst ist es, viel mehr als WAS gespielt wird, der einen ergreift. Nicht genug für ein so langes Lied, aber ein Anfang. Gegen 4:20 holt der unmittelbare und doch synkopierte und unvorhersehbare Rhythmus John Bonhams die Aufmerksamkeit des Hörers, der zugegebenermaßen schon wieder an anderes dachte in die Mitte des Stücks zurück. Und nach einem weiteren Zyklus des Abdriftens packt einen ein Tonartwechsel und ein dichter Soloteil nicht mehr an den Schultern ("schau, was wir jetzt machen, ist das nicht nett?") sondern irgendwo in den Eingeweiden ("nimm das!"). Der Schlußteil mit seinen Rock-N-Roll Rhythmen verspricht einiges, doch gerade als sich eine Wall of Sound aufbaut ist der Song vorbei. Eine Enttäuschung nach einer so blendenden Erscheinung.

Ich gebe zu, oft genug ist es Plants Stimme allein, dieses schneidende Falsett, das mir die Lust an Zeppelin nimmt, doch der Reiz, der von den wenigen Minuten in "Stairway To Heaven" ausging, trieb mich wenigstens soweit, nach einer Compilation, die ich mit 14 oder 15 gekauft hatte, auch ein paar der regulären Alben zu kaufen. Led Zeppelin I zeigte mir die Bluesrockseite der Band, und es war tatsächlich der satte Sound der Rockband, mal elektrisch, mal akustisch ("Babe I'm Gonna Leave You") in den ich mich verliebte, noch bevor ich großes Interesse am Rest zeigte. Noch immer finde ich die selbstherrliche und betont maskuline Seite der Texte bisweilen peinlich. Aber die Texte, soviel ist mir mittlerweile klar, sind überhaupt nicht dazu da, eine echte Botschaft, eine Aussage zu vermitteln, oder - um der pseudo-politischen Assoziation des Wortes zu entrinnen - eine Geschichte zu erzählen. Sie übersetzen nur in wenige, oft wiederholte Worte, was die Musik von Anfang an suggeriert: sie sind Ausdruck einer sexuellen Energie, die sich selbst genügt. Was Rock N Roll mit synkopierten Achteln und pulsierendem Bass macht, vollbringt die Stimme Robert Plants mit Schreien und suggestiven Phrasierungen einiger simpler Aussagen ("you know you shook me, you shook me all night long" etc.). Der musikalische Sex des Rock N Roll und das musikalische Leid des Blues verbinden sich, und haben es schwer, nicht ein überhöhtes und wahnwitzig unausgewogenenes Bild der Selbstdarstellung zu vermitteln. Wieso sollten sie auch? Die Gitarre gibt ihnen Recht, was immer man sonst davon halten mag.

Doch trotz des Schmutzes und des Schweißes und anderer Körperflüssigkeiten, vermisse ich auch hier etwas. Man mag es Transzendenz nennen, oder Vielfalt. Die ersten beiden Zeppelin-Alben machen Spaß, von Zeit zu Zeit, aber sie reißen mich nicht unmittelbar mit. In anderen Worten, wenn ich nicht in der Stimmung dafür bin, liegt es nicht in ihrer Macht, diese Stimmung zu erwecken.

Aber auch hier gibt es einen Silberstreif am Horizont. Die beste Phase Zeppelins, weiter weg von den mystisch eingefärbten Rockstücken von III und IV (diese kommen in der Tat schon früher vor, vgl. "Ramble On") - "Custard Pie", "Night Flight", "D'Yer Mak'er", "Houses Of The Holy",... Was es ist, das Houses Of The Holy und Physical Graffiti zu den besten Zeppelin-Alben macht, ist nicht zu überhören. Der Funk, die Apotheose der Synkope, durchzieht Songs wie "The Song Remains The Same" von Anfang an. Wir finden auch die Elemente wieder, die früher störend wirkten. Plants Falsett scheint mir hier auch nicht viel besser zu sein als anderswo, aber es integriert sich in den Mix wie ein Instrument unter vielen. Die Mystik, oder besser: die Mythologie - die des Wanderers, des einsamen Künstlers, die des Helden gegen die Welt - ist auch in der Spätphase Zeppelins zu spüren, aber sie ist keine einfache Position des Sängers und seines Liedtextes mehr, sie entsteht aus der Musik selbst. Dazu sind auch keine Flöten und Mandolinen mehr notwendig, die eine künstliche Atmosphäre eines unwahrscheinlichen Spätmittelalters erzeugen sollen und dabei nur ihre eigene beschränkte Aussagekraft bezeugen. Das Sonnenlicht, das in "The Rain Song" beschworen wird, bricht in Form einer warmen Gitarre durch den Schleier der Produktion: die Skala selbst, die die Akkorde umspielt, vermeidet die Grundtöne und macht die Tonalität des Liedes unscharf genug, um diese für den Text stehen zu lassen.
Die Unsicherheit des rhythmisch variablen Riffs in "Over The Hills and Far Away" repräsentiert gleichzeitig die versuchte Annäherung, die der Text auf seine Art vermittelt. Die Frage, ob Text oder Musik vorher da war - ganz abgesehen davon, daß sie beide gleich wichtig werden - ist nicht mehr zu beantworten. Ein weiter Weg von der suggestiven Untermalung eines körperlichen Rhythmus der frühen Songs oder der Textlastigen der "Stairway"-Phase.

Hier schließlich finde ich auch genug Substanz, um die Arbeit der Band auf ihre eigene Art zu beurteilen. Ich habe das Gefühl, mich nicht mehr so stark mit werkfremden Konzepten auseinandersetzen zu müssen, um den Songs und Platten beizukommen. Die Frage nach der Qualität der einzelnen Tracks ist damit nicht beantwortet. "The Crunge" oder "In The Light" sind mir immer noch nicht geheuer, aber wenigstens scheint es mir leichter, auf sie zu reagieren. Die Antipathie, die ich nach wie vor gegen III und IV hege, ist ebenso erklärbar; ich muß nicht eine falsche Simplizität beschwören (die Zeppelin nie hatte - sonst würden sie etwa aus einem Riff-Rocker wie "Whole Lotta Love" ein 2 Minuten Stück machen und wären nie auf die Idee gekommen, diesen seltsamen Mittelteil einzufügen), kurz: Ich habe endlich eine haltbare Position der Band gegenüber.
Ich erwärme mich tatsächlich immer mehr für Led Zeppelin, aber es sind meine Zeppelin, nicht die der Rockkritiker und 70er-Fans. Meine Zeppelin überragen ihre Zeit. Wer braucht schon "Stairway To Heaven."

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ich verstehe diesen eintrag...
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roland_and_his_burning_nose - 27. Apr, 21:26
dort gibt es zweifellos...
dort gibt es zweifellos weiße anzüge, hawaiihemden,...
syro0 - 18. Dec, 13:00
2009 wird ein Abba museum...
2009 wird ein Abba museum mit ca. 750 erinnerungsstücken...
turntable - 17. Dec, 22:29
polyphon sogar: ich bemerke...
polyphon sogar: ich bemerke erst jetzt einen gewissen...
syro0 - 26. Nov, 15:56
diesem Hausverstand pfeift...
diesem Hausverstand pfeift doch das schwein! grüße:-)
turntable - 25. Nov, 23:11
très charmant
très charmant
gizzy duststar - 17. Nov, 20:25
lol!
lol!
roland_and_his_burning_nose - 11. Nov, 18:41
danke für die ehre, welche...
danke für die ehre, welche mir zuteil wird. grüße
turntable - 2. Nov, 17:02

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