Thursday, 22. November 2007

Re: Aretha am Piano

Der Kommentar zur Instrumentalversion von "Young, Gifted and Black" auf Oh Me Oh My: Aretha Live In Philly 1972, den ich im vorhergehenden Eintrag leichtfertig angebracht habe, bedarf eigentlich näherer Erläuterung.
Der Set, "recorded live at the National Association of Television & Radio Announcers Convention, Philadelphia, PA (1972)" ist nicht vollständig dokumentiert; somit gibt es auch keine direkte Information darüber, wer auf welchem Track spielt. Davon abgesehen liegt es nahe, zu vermuten, daß Aretha selbst irgendwie an einem Song, der einen wesentlichen Teil (ca. 7 Minuten) ihrer Show ausmacht, und als Instrumental angelegt ist, beteiligt war - zusätzlich, weil das Lied Nina Simones für Aretha bedeutsam genug war, ihr 1972er Album danach zu benennen.

Die einzigen konkreten Anhaltspunkte bieten mehrere Aussagen David Nathans in den Liner Notes des Albums. Dort heißt es:
"it's undoubtedly the Queen herself driving the rhythm section at the keyboard."
eine ähnliche Formulierung finden wir bezüglich der Aufnahme von "Spanish Harlem":
"it's clearly Aretha accompanying herself on piano on this track, and most likely throughout the entire performance."

Meine Antwort darauf? - Woah, man, not so fast....
Ich sage, daß Aretha in Wahrheit nur auf zwei der Nummern (und nicht mal auf "Spanish Harlem") spielt, und das trotz meines Enthusiasmus für ihr Klavierspiel auf den Atlantic-Alben.
Hier der Versuch einer Argumentation:

Die beiden Songs, "Medley: Bridge Over Troubled Water/ We've Only Just Begun" und o.g. Version von "Young, Gifted and Black (Instrumental)", für die eine Identifikation leichter ist, kommen im Ablauf des Abends direkt nacheinander, was für den Ablauf eines Sets natürlicher scheint, als ein ständiges hin und her (notwendig für "Spanish Harlem") . Neben stilistischen Merkmalen (dazu gleich mehr) ist es hierbei vor allem ein technisches Phänomen der Lokalisierung im Stereofeld der fertig abgemischt gefundenen Bänder: während im ersten Teil der Show das Klavier leicht in Richtung des linken Kanals spielt, wandert es bei den beiden fraglichen Nummern in den Mittelkanal, mit einer leichten Tendenz nach rechts - und ist damit im selben Feld wie der Gesang. Nicht unwahrscheinlich, da ein Gesangsmikrophon vermutlich ein Signal eines Klaviers mit aufzeichnen würde, und eine Trennung deshalb u.u. eine irritierende Dopplung ergäbe. Während das Klavier auch später an dieser Stelle im Stereofeld bleibt, ist Arethas Gesang für meine Ohren wieder weiter davon entfernt.

Freilich sind dies nicht die einzigen Indizien, auf die ich meine Argumentation baue. Der pianistische Stil der beiden Abschnitte allein unterscheidet sich in wesentlichen Punkten. Während Pianist A neben "offeneren" Akkordvoicings in seinen Verzierungen und Licks auf Skalen zurückgreift, die er häufig triolisch einsetzt und über mehrere Oktaven der Klaviatur spielt, hat Pianist B (Aretha) einen kleineren Umfang, bewegt sich meist im Notenmaterial des Akkordarpeggios und der Zwischentöne der sehr kompakt klingenden Akkorde; zusätzlich scheint es mir höchst unwahrscheinlich, daß eine Sängerin wie Aretha an extremen Stellen ihrer Performance (intensive, höhe Töne und völlig entspannte, beinah Spoken-Word-Phrasen) viele der hörbaren rhythmischen Phrasierungen am Klavier spielen würde (und in manchen synkopierten Fällen überhaupt bewerkstelligen könnte, vgl. v.a. "Spanish Harlem" ca. 1:00 - 1:25).
Gerade das Klavierspiel beider von mir Aretha zugeschriebener Performances findet allerdings vorwiegend in den Zwischenräumen der Gesangsphrasen statt, die logischere Wahl für einen einzigen Musiker; die ungenaue Rhythmik dieser Passagen (d.h. vor allem in "Bridge Over Troubled Water") ist darüber hinaus schwer realisierbar, wenn man nicht die Kontrolle über das eine oder andere rubato sowohl mittels Gesang als auch Pianistik hat; die Übereinstimmung der Betonungen und Akzente schließlich ist ein letztes deutliches Signal für die Theorie, daß eine Person beide Aufgaben innehat.

Die Begründung Gesang-Pianistik gilt natürlich nicht für das Instrumental, doch auch hier müssen wir uns nicht mit einem Argument der Kontinuität (d.h. weil die beiden Tracks aufeinanderfolgen) begnügen. Das Klavier hat im Vergleich zu den anderen Instrumenten ein bescheidenes Solo; ein effektives, ein wunderbares Solo tatsächlich - doch konträr zum Stil der Licks des Pianisten A in der ersten Hälfte des Konzerts. Erneut gibt es keine Skalen, wenige Triolen, wenig Tonumfang. Man würde sich von einem Musiker wie Pianist A ein technisch komplexeres, kurz ein "showy" Solo erwarten.

Ab der nächsten Nummer, "Oh Me Oh My" jedoch kommen immer wieder diese Licks und Phrasierungen vor, die in den 15 Minuten, während denen Aretha am Klavier zu sitzen scheint, ausbleiben. Während es schwer zu beurteilen ist, wer beim Closer "Spirit In The Dark" spielt, da es wenige Licks im Stile der anderen Performances gibt, scheint mir, daß auch hier aufgrund gewisser rhythmischer Gestaltungsweisen - und im Allgemeinen wegen des schon oben angesprochenen "offenen" Klaviersounds nicht Aretha spielt, sondern Pianist A. Soviel zu meinen Beobachtungen. Vielleicht findet sich ja ein Experte, der sich an der Identifikation As versuchen will... ;-)

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