Daten über Daten

http://www.focus.de/digital/multimedia/glasers_modernste_zeiten/glasers-modernste-zeiten_aid_28622.html
[Der Link hierzu stammt von Archivalia]

Der Backupwahn kennt keine Grenzen. Wie kann man jedes noch so obskure Bit an Information digital sichern? Feuer bedroht Papier. Zersetzung bedroht CDs. Formatwechsel bedrohen Datenträger. Was kann man tun, um nicht viele der wertvollen Daten [etwa "eine Bedienungsanleitung von einem Staubsauger aus den 50er-Jahren, 30 Seiten dick"] zu verlieren? Oder in den Worten Peter Glasers: "Wie lassen sich Daten so archivieren, dass sie sicher sind und auch in 100 oder 500 Jahren noch gehört, gelesen und gesehen werden können?"

Die Antwort: Gar nicht.

Und ich fühle mich dadurch unendlich erleichtert. Abgesehen von tausenden Kubikmetern Stauraum, die selbst Festplatten noch aufbrauchen würden: Ist es denkbar, daß die Zukunft derart langweilig wird, daß jemanden dort/dann diese Daten wirklich interessieren.

Vielmehr vermute ich auch hier einen Zusammenhang mit dem allgegenwärtigen Unsterblichkeitswahn der heutigen Gesellschaft. Jung bleiben. Fit bleiben. Keine Daten verlieren.

Ja, die Welt wäre vielleicht reicher daran, wenn jemand ein letztes Exemplar, ein altes promptbook von Love's Labour's Won auftreiben könnte. Wer würde nicht gern einen neuen Shakespeare lesen? Oder ein Epos, das Ovid möglicherweise im Exil geschrieben hat... wer weiß, vielleicht gab es etwas derartiges. Wir wollen nicht einmal unverschämt sein, und uns auf drei oder vier der dutzenden verschollenen Opern Monteverdis zwischen L'Orfeo und Il Ritorno d'Ulisse in Patria beschränken. Diese Kopie von Orson Welles' Originalschnitt von Touch of Evil, die seinerzeit in Brasilien verloren ging, Kafkas von eigener Hand vernichtete Oktavhefte, die Max Brod an einer Stelle beweint, Aristoteles' Abhandlung über die Komödie, Chrétien de Troyes' Mors de l'espaule, die er in den ersten Zeilen von Cligès anspricht...

Aber ganz ehrlich: was wäre die Welt ohne diese modernen Mythen? Was würde man wirklich gewinnen, wenn es eine fünfbändige kritische Ausgabe des Hamlet gäbe, durch einen mühsamen Vergleich der drei überlieferten Shakespearschen Handschriften und einem halben Dutzend belegter Theatervarianten erstellt?

Niemandem, der sich mit Texten auseinandersetzt, wird das leichte Gefühl der Verzweiflung unbekannt sein, wenn man vor einem nicht erklärbaren Bruch in der Textgestalt steht. Niemand, der alte Musik aufführt wird nicht wissen, wie es ist, die inneren Stimmen eines Orchesterwerkes ergänzen zu müssen, weil der Komponist sie frei gelassen hat. Doch die Kunst ist allemal stärker als die Zweifel.
Ingeborg Bachmann fand Wittgensteins deutsche Fassung des Tractatus in einem Keller der Österreichischen Nationalbibliothek, wo es auf wundersame Weise den Krieg überlebt hatte, und überredete Suhrkamp dazu, das Buch neu herauszugeben.
Wen hätte Wittgenstein gekümmert, wenn er eine Signatur neben zigtausenden anderen in alten Bibliothekskatalogen gewesen wäre?

Ein Index und ein vollständiger Datenspeicher sind keine Garantie für Aufmerksamkeit, wie nicht zuletzt zahllose Gegenwartsautoren wissen, deren Bücher vielleicht zu unrecht ungelesen in Buchhandlungen, in Bibliotheken, oder gar unter Bergen anderer Manuskripte im Büro eines gestreßten Lektors versteckt bleiben.
Wir befinden uns zweifelsohne an einem Punkt, wo auf unvorhergegangene Weise umfassend Daten gesichert werden. Natürlich, viele davon werden irgendwann verloren gehen, doch ist dies nicht alles nur ein Nachteil.

In meinen Augen ist es besser, einen Literaturwissenschaftler auch in 400 Jahren daran verzweifeln zu sehen, eine Stelle zwischen Kapitel 10 und Kapitel 13 in einem der großen Romane des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts leer lassen zu müssen, als einen, der gelangweilt alles kompiliert, in eine Liste einträgt und das "aufgearbeitete" Werk weiterhin so unbeachtet läßt wie es etwa diese dutzenden Romane des 18. Jahrhunderts sind, die in unseren Bibliotheken stehen und die vielleicht noch nie jemand wirklich gelesen hat.

Dieses oder jenes werden wir vermutlich neu entdecken können, vieles, und das ist ein wichtiges Stichwort, wird unser Interesse nicht einmal kurzfristig wecken. Doch selbst wenn wir die Qualität außer acht lassen, wird vielleicht manches zu betrauern sein, von Vielem wird man auch nie erfahren, daß es geschrieben worden ist; immerhin haben wir aber auch so schon genug, um jedes einzelne Leben so mit Kunst füllen zu können, daß niemandem dabei langweilig werden muß.
Und wenn das Foto der Jugendliebe dann einmal weg ist, weil das Bild verblaßt ist, kein Negativ zu finden ist, oder der Computer unrettbar gecrasht -- dann muß man sich selbst erinnern, oder vergessen. Kümmern wird es schon nach wenigen Jahrzehnten niemanden mehr. Das kollektive Gedächtnis, traue ich mich zu behaupten, ist dabei noch viel rücksichtsloser als jedes Individuelle.
turntable - 1. Mar, 23:59

wie hieß es doch so schön; "die wahren abenteuer sind im kopf!"
grüße

mart - 3. Mar, 03:09

das alles wird die APOKALYPSE nicht übertauchn

syro0 - 4. Mar, 15:25

hehe

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ich verstehe diesen eintrag...
ich verstehe diesen eintrag noch immer nicht...
roland_and_his_burning_nose - 27. Apr, 21:26
dort gibt es zweifellos...
dort gibt es zweifellos weiße anzüge, hawaiihemden,...
syro0 - 18. Dec, 13:00
2009 wird ein Abba museum...
2009 wird ein Abba museum mit ca. 750 erinnerungsstücken...
turntable - 17. Dec, 22:29
polyphon sogar: ich bemerke...
polyphon sogar: ich bemerke erst jetzt einen gewissen...
syro0 - 26. Nov, 15:56
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diesem Hausverstand pfeift doch das schwein! grüße:-)
turntable - 25. Nov, 23:11
très charmant
très charmant
gizzy duststar - 17. Nov, 20:25
lol!
lol!
roland_and_his_burning_nose - 11. Nov, 18:41
danke für die ehre, welche...
danke für die ehre, welche mir zuteil wird. grüße
turntable - 2. Nov, 17:02

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