TISSOT: L'ONANISME (Die Onanie) - Teil 1

[Anm.d.Übersetzers: in der französischen Version findet sich ein neues Avertissement (Vorwort) der Herausgeber, das Tissots Stellung behandelt. Ich gebe es im folgenden wieder. Die darin Erwähnten textlichen Veränderungen wurden von mir nicht näher untersucht.]

Das große Dictionnaire de BESCHERELLE widmet dem Autor dieses Werkes folgende Zeilen:

"TISSOT (Simon-André), Arzt, geboren in Grancy (pays de Vaud), 1728-1797, hatte großes Ansehen als Arzt in Lausanne. Unter seinen Werken sind hervorzuheben: die Histoire de la fièvre bilieuse de Lausanne [Geschichte des Gallenfiebers (Typhus) in Lausanne]; Das Avis au peuple [Rat an das Volk], das einen phänomenalen Erfolg erzielte; De la santé des gens de lettres [Von der Gesundheit der Literaten]; De l'Onanisme [Von der Onanie]; Essai sur les maladies des gens du monde [Essay über die Krankheiten der höheren Gesellschaft]; etc..."

Mit der Veröffentlichung einiger Zeilen an dieser Stelle hat man nicht die Absicht, diesen Mann der Wissenschaft und der Praxis bekannt zu machen, sondern bloß daran zu erinnern, was er war, und was er hinterlassen hat. Was das vorliegende Werk, "Von der Onanie" betrifft, kann man bekräftigen, daß es kein nützlicheres, noch ein erbaulicheres gibt. Man kann nur wünschen, daß es sich in den Händen eines jeden Familienvaters und eines jeden Erziehers wiederfinde. Tissot kommt jener seltene Verdienst zu, ein Thema mit Keuschheit und Empfindlichkeit zu behandeln, das nur an Unkeuschheit und Schamlosigkeit gemahnt. Dieses Buch ist auf essentielle Weise moralisch, da es durch das Aufzeigen der Gefahren und Folgen des Lasters die Vorteile der Tugend nahebringt.
In dieser neuen Ausgabe wurde der ursprüngliche Text neu durchgesehen und gesäubert [a été retouché], jedoch auf diskrete Weise. Darüber hinaus geben wir, damit jeder Leser sich über die lateinischen Zitate im klaren sei, die sich in den vorhergehenden Ausgaben finden, und die der Autor nicht übersetzen zu brauchen glaubte, hier deren Übersetzung.

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VORWORT (Préface)

Ich fühlte die Schwächen des lateinischen Originals dieses kleinen Werkes, als ich es schrieb; ich entschuldigte mich dafür und zeigte meine Gründe dafür im Vorwort desselben auf. Diese Schwächen fielen mir noch stärker nach der Drucklegung auf; und ich habe sie als unerträglich empfunden, als ich eine französische Übersetzung begutachtete, die durchzusehen man von mir verlangte.
Neben reichlichen neuen Beobachtungen, die anzuhängen waren, war es auch notwendig, beträchtliche Fehler in der Anordnung zu korrigieren, und Artikeln, die nur erste Umrisse darstellten, und kaum befähigten, zu begreifen was ich sagen wollte, einen passenden Umfang zu geben.

So viele Verbesserungen machten das Werk beinahe zu einem neuen, und ein ganzes Stück länger. Die Schwierigkeiten, dieses Unternehmen in der lebendigen Sprache [Französisch, Anm.d.Üs.] durchzuführen, mit all den Unannehmlichkeiten, die dies mit sich bringen würde, waren mir nicht entgangen. Es gab nur den einen sehr gewichtigen Grund des Nutzens, den dieses Unternehmen, gut umgesetzt (das heißt vermutlich, besser als ich es gemacht habe), für die Menschheit haben könnte, der mir zur Entscheidung verhelfen hätte können; und tatsächlich ist es der einzige, der mir zur Entscheidung verhalf. Es ist traurig, sich mit Verbrechen dieser Art zu befassen; darüber nachzudenken macht betroffen und beschämt; jedoch ist die Hoffnung süß, daß man zur Verringerung der Häufigkeit derselben beitragen könnte, und das Elend mildern zu können, das daraus folgt.

Was die Arbeit erheblich erschwert hat, mehr als sie es gewesen wäre, wenn ich auf Latein geschrieben hätte,ist die Peinlichkeit, Szenen zu vermitteln, deren Begriffe und Ausdrücke in der Verwendung als indezent gelten. Es wäre mir unendlich schwer gefallen, wenn ich mich dieser Sorge entledigen hätte müssen, und jene Veranlagung, die ich mir zu Ehren zu halten wage, hat mir die Arbeit weniger schwer gemacht, als sie es gewesen wäre, wenn mir diese unglücklicherweise gefehlt hätte; dies gesagt, habe ich sie dennoch vor Schwierigkeiten gespickt gefunden. Ich wage zu behaupten, daß ich keine Vorsorge zu treffen unterlassen habe, um diesem Werk all die Schicklichkeit der Begriffe zu geben, die es verlangte. Es gibt Hindernisse, die von der Matiere nicht zu trennen sind. Wie sie vermeiden? Soll man über so wichtige Dinge schweigen? Nein, mit Sicherheit nicht. Die Verfasser der heiligen Schrift, die Kirchenväter, die beinah alle in lebendigen Sprachen schrieben, die ekklesiastischen Autoren, sie haben nicht geglaubt, Schweigen über die obszönen Verbrechen wahren zu müssen, weil man sie nicht ohne Worte benennen kann. Ich glaube, ihrem Vorbild folgen zu müssen; und ich würde wagen, mit dem Heiligen Augustin zu sagen: Wenn das, was ich geschrieben habe, eine schamlose Person aufregte, sollte diese viel eher die Schuld ihrer eigenen Verderbtheit zuschreiben, als den Wörtern, derer ich mich zu bedienen genötigt sah, um meine Gedanken über die Zeugung der Menschen auszudrücken [expliquer ma pensée sur la génération des hommes]. Ich hoffe, daß der schamhafte und weise Leser mir leicht jene Ausdrücke vergeben wird, die ich zu verwenden genötigt war. Ich will den Aussagen des Heiligen hinzufügen, daß ich hoffe, die Anerkennung und Zustimmung der tugendhaften und aufgeklärten Menschen zu verdienen, die die Verderbtheit des Universums kennen, und die, wenn nicht meinen Erfolg, doch wenigstens mein Unternehmen loben werden.

Ich habe die moralische Seite nicht mehr als in der ersten Ausgabe berührt; dies wegen des Grundes Horazens:

"....Quod medicorum est
Promittunt Medici."
[Das was in der Kompetenz der Mediziner liegt, verheißen die Mediziner]

Ich habe mir vorgenommen, über die Krankheiten, die von der Masturbation hervorgerufen werden,zu schreiben, und nicht über das Verbrechen der Masturbation; ist es davon abgesehen nicht genug, das Verbrechen zu beweisen, wenn man zeigt, daß diese ein Akt des Selbstmordes ist? Wenn man die Menschen kennt, überzeugt man sich leicht davon, daß es leichter ist, sie durch die Furcht vor einem gegenwärtigen Übel vom Laster abzubringen, als durch Argumentation, die auf Prinzipien gründet, wo man nicht die Geduld hat, ihnen die ganze Wahrheit einzuimpfen. Ich habe mich daran gehalten, was ein Mann, von dem sich das 18. Jahrhundert bei der entferntesten Nachwelt rühmen wird, einem religiösen Ordensträger gesagt hat: Man läßt uns versuchen, einem Manne, der nicht an Gott glaubt, den Nutzen des Gebetes zu beweisen; die Notwendigkeit des Fastens einem anderen, der sein ganzes Leben lang die Unsterblichkeit der Seele verneint hat. Dies Unternehmen ist mühsam, und die sich lustig machen sind nicht für uns. [Montesquieu, Lettres Persanes, 49] Marphurius zweifelte an allem; Sganarelle gab ihm Schläge mit dem Stock und er glaubte. [Molière, Le mariage forcé, Anm.d.Üs.]
Diese Zoili [nach Zoilus/Zoilos, einem Kritiker des Homer, Anm.d.Üs.] der Gesellschaft und der Literatur, die nichts machen als alles zu beschuldigen, was man macht, wagen zu sagen daß dieses Werk geeigneter dazu sei, das Laster zu Verbreiten, als es aufzuhalten, und daß es dadurch jenen bekannt würde, die es nicht kennten. Ich werde ihnen nicht antworten, man würde sich erniedrigen, wenn man ihnen antwortete. Aber es gibt schwache Seelen, wenngleich tugendhaft, auf die diese Ausführungen Eindruck machen könnten; ich schulde ihnen diese generelle Überlegung; nämlich, daß mein Buch, in jener Hinsicht, in der selben Situation ist wie alle moralischen Bücher; man müßte sie alle verbieten, wenn man ein Laster vervielfachte, indem man dessen Gefahren aufzeigt. Die heiligen Schriften, die der Kirchenväter, die der Kasuisten, müßten alle noch vor dem meinen verboten werden. Davon abgesehen, wer soll dieser junge Mensch sein, der ein Werk über ein medizinisches Thema liest, dessen Namen er nicht kennt? Man kann nur wünschen, daß das Werk denjenigen Personen bekannt wird, die dazu berufen sind, die Ausbildung zu lenken; es wird ihnen dazu dienen, diese verachtenswerte Gewohnheit schon früh aufzulösen, und es wird sie sogar dazu führen, die Vorsorge zu treffen, die ihnen nötig scheint, um die Folgen davon aufzuhalten.

Diejenigen, die das Lateinische nicht verstehen, werden vielleicht finden, daß zu viele Verse in jener Sprache vorkommen; ich will ihnen antworten, daß es keine gibt, die nicht mit dem Thema verbunden sind, da keine vorkommen, die mir nicht durch eine Assoziationskette in den Sinn gekommen wären. Ich habe sie stets in jener Form aufgenommen, die erlaubt, sie zu übergehen, ohne daß die Argumentationslinie dadurch unterbrochen wäre. Diejenigen, die sie verstehen, werden mir dafür dankbar sein: der Reisende inmitten der Heide ist erfreut durch die Schönheit einer Grünfläche. Schließlich, wenn es ein Fehler wäre, ist es ein leichter; und in einem so undankbaren Werk mag man dem Autor eine solche Erholung gönnen. Wenn es keine französischen gibt, was natürlicher gewesen wäre, ist das vielleicht die Schuld der Dichter eher als die meine.

Dieses Werk, zuletzt, hat nichts mit der Englischen Onania gemein als das Thema; und, abgesehen von nicht ganz zweieinhalb Seiten, die ich daraus bezogen habe, hat es mir keine Hilfe geboten. Diejenigen, die beide Werke lesen, werden die völlige Unterschiedlichkeit der beiden hoffentlich bemerken: diejenigen die nur dieses lesen, mögen vielleicht von der Ähnlichkeit der Titel getäuscht worden, und zur Vermutung gelangt sein, es gebe eine Gemeinsamkeit zwischen den beiden Büchern; glücklichweise gibt es keine.

Das Hinzugefügte erweitert diese neue Ausgabe um beinah ein Drittel, und ich hoffe daß sie freundlich von den Leuten aufgenommen werden, die imstande sind, sie zu beurteilen. Man wird mir vielleicht zweierlei Vorwürfe machen: zum einen, daß ich eine große Zahl von Beobachtungen und Zeugnissen hinzugefügt hätte, die beinah nichts sind als Wiederholungen derer, die sich schon in der ersten Ausgabe fanden; zum anderen, daß ich an gewissen Stellen zu sehr von meinem Titel abgewichen sei, und daß ich die Gefahren der Liebesvergnügungen unter einem allgemeinen Blickwinkel dargestellt hätte. Ich antworte auf ersteres, daß bei einem Thema wie diesem, wo man weniger hoffen darf, durch Argumente zu überzeugen, als durch Beispiele abzuschrecken, man kaum zu viele davon ansammeln kann. Ich antworte auf das zweite, daß primo wenn zwei Themen so eng verbunden sind, je mehr man eines isolieren will, umso weniger ausführlich es behandelt, und secundo daß ich sehr wohl dem Werk eine allgemeineren Nutzen zu geben gewillt war.

Jemand hat mir gesagt, daß es eine solche Lektüre sei, die einem bekannten Professor in Schrecken versetzt hätte. Das kann ich nicht glauben; aber falls dem wirklich so sei, bitte ich ihn darum, das Vorwort genau zu lesen, auf das er zweifellos noch keinen Blick geworfen hat.
Als ich über die Infektion schrieb, habe ich mir vorgenommen, die beste Methode zu vertreten, um die Verwüstungen einer tödlichen Krankheit aufzuhalten, und ich habe die Befriedigung, wenigstens ein wenig Gutes bewirkt zu haben: als ich dieses Werk zusammenstellte, habe ich gehofft, das Fortschreiten einer noch verwüstenderen Zersetzung aufzuhalten, als sie vielleicht die Pocken verursachen, und genauso zu fürchten sind, da, in den Schatten des Mysteriums arbeitend, sie stumm aushöhlt, ohne daß diejenigen, die ihre Opfer sind, ihre Bösartigkeit auch nur vermuteten. Es war wichtig, sie bekannt zu machen; und ich habe tatsächlich mehrere Gründe, anzunehmen, daß ich das Glück habe, nützlich zu sein, daß die Augen der Jugend sich öffnen, und daß diese Schritt für Schritt lernt, die Gefahren und das Böse zugleich kennenzulernen: das ist eines der sichersten Mittel, um jenen Verfall aufzuhalten, den man in der menschlichen Natur bedauert, und dieser möglicherweise - in einigen Generationen - die Kraft, die unsere Vorfahren hatten, zurückzugeben, die wir nur mehr aus der Geschichte, und durch Geschichten kennen, oder von den Denkmälern, die uns davon blieben. Jedoch ist es zu wünschen, um an dieses Ziel zu gelangen, daß die Herren Mediziner durchaus eine gewisse Aufmerksamkeit auf jene Ursache zu richten gewillt sind, die bislang zu sehr vernachlässigt wurde; ich habe seit der letzten Auflage dieses Werkes Ärzte getroffen, die glaubten, daß ich die Gefahren übertrieben hätte, und die mir versicherten, daß sie noch nie Krankheiten die durch diese Ursache hervorgerufen worden wären gesehen hätten; ich kann ihnen meinerseits versichern, daß das Übel noch viel größer ist, als ich es gezeichnet habe, daß es in extremer Häufigkeit vorkommt, und daß sie sehr oft Krankheiten dieser Art behandelt haben, wenngleich ohne es zu vermuten, denn diese Ursache, von der größten Anzahl der Autoren beinah völlig ausgespart, kam ihnen gar nicht in den Sinn. Heutzutage sind die Schuldigen, welche die Ähnlichkeit ihrer Leiden mit denen, die ich in diesem Werk beschreibe zwingt, sich die Ursache einzugestehen, die ersten, sie aufzuzeigen, und bald werden alle Ärzte beurteilen können, ob ich recht hatte.

Mag Er, der alles vermag [Gott, Anm.d.Üs.] über meine Ansichten jenen Segen verbreiten, ohne den unsere schwachen Arbeiten gar nichts vermögen! Paulus pflanzt, Apollo gießt, aber es ist GOTT, der das Wachstum schenkt.

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ich verstehe diesen eintrag...
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roland_and_his_burning_nose - 27. Apr, 21:26
dort gibt es zweifellos...
dort gibt es zweifellos weiße anzüge, hawaiihemden,...
syro0 - 18. Dec, 13:00
2009 wird ein Abba museum...
2009 wird ein Abba museum mit ca. 750 erinnerungsstücken...
turntable - 17. Dec, 22:29
polyphon sogar: ich bemerke...
polyphon sogar: ich bemerke erst jetzt einen gewissen...
syro0 - 26. Nov, 15:56
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diesem Hausverstand pfeift doch das schwein! grüße:-)
turntable - 25. Nov, 23:11
très charmant
très charmant
gizzy duststar - 17. Nov, 20:25
lol!
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roland_and_his_burning_nose - 11. Nov, 18:41
danke für die ehre, welche...
danke für die ehre, welche mir zuteil wird. grüße
turntable - 2. Nov, 17:02

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